Vortrag (Auszug) Wege der Jakobspilger in Deutschland – Stolzenfels und der wahre Jakob!

Sonntag, 09.03.2008 – St. Menas, Koblenz-Stolzenfels von Ka-Jo Schäfer

Gliederung

 

·                         Einleitung

·                         Mythos Jakobswege

·                         St.-Jakobus d.Ä. - Apostel und Maurentöter?

·                         Santiago de Compostela - warum wurde das Grab zum
      Hauptpilgerziel?

·                         Mittelalterliche Pilger unterwegs!

·                         Der "wahre Jakob"!

·                         Heilige Jahre

·                         Deutschland und seine Jakobswege

·                         Stolzenfels im Jakobswege-Netz

·                         Warum das 21. Jh. sich nicht so sehr vom hohen Mittelalter
      unterscheidet!


·  Einleitung

·  Mythos Jakobswege

·  St.-Jakobus d.Ä. - Apostel und Maurentöter?

·  Santiago de Compostela - warum wurde das Grab zum Hauptpilgerziel?

·  Mittelalterliche Pilger unterwegs!

·  Der "wahre Jakob"!

·  Heilige Jahre

·  Deutschland und seine Jakobswege

·  Stolzenfels im Jakobswege-Netz

·  Warum das 21. Jh. sich nicht so sehr vom hohen Mittelalter unterscheidet!

 

Im Jahre 2007 haben 114.026 Pilger die heiß begehrte Compostela, die Pilgerurkunde eines Jakobspilgers, in der Kathedrale in Santiago de Compostela in Empfang genommen. Damit hat sich die Zahl der Pilger auf dem Jakobsweg seit 1989 mehr als verzwanzigfacht.

Zur Erklärung: die Compostela, die Urkunde des Domkapitels, erhält ein Jakobspilger heute, wenn sie oder er die letzten 100 km zu Fuss oder die letzten 200 km per Fahrrad oder Pferd zurückgelegt hat. Ein Ablass - also ein Sündenerlass - wie oft fälschlich behauptet, ist damit ausserhalb der Heiligen Jahre nicht verbunden. Eigentlich schade, denn das wärs doch wieder. Wie in früheren Jahren - genau genommen bis zur Reformation - pilgern wir ein bisschen, oder zahlen ein bisschen Geld in die Kirchenkassen, und schon sind unsere Sünden vergeben. Toll, das Himmelreich wäre uns stets sicher. Also: kein Ablass, nur ein Beweis, dass man da war.

Und dieser Beweis war früher ganz schön wichtig. Aber dazu später.

114.026 Pilger - das muss man sich einmal vorstellen. Das ist etwas mehr als die Einwohnerzahl von Koblenz. Alle auf dem Weg! Auf den letzten 100 km vor Santiago de Compostela geht es zu wie beim Volkswandertag bei strahlendem Sonnenschein im Mai. Jeder 9. oder 10. Jakobspilger war ein Deutscher - immerhin 13.837. Damit stellten die Deutschen, nach den Spaniern mit immerhin etwas über 55.000 Pilger, die stärkste Nationalitätengruppe. Ich sag's ja, die Deutschen sind immer schon da. Wenn es irgendwo etwas zu erleben gilt: entweder ist der Deutsche schon dagewesen, oder er macht sich gerade auf den Weg. Oder aber er kennt einen, der sich gerade auf den Weg gemacht hat. So wie Hape Kerkeling, den kennt fast jeder Deutsche. Und das Buch "Ich bin dann mal weg ..." kennt man auch.

Noch ein bisschen Statistik? Okay, 43.581 Pilger waren religiös motiviert, 60.944 gaben an, sie wären religiös-kulturell motiviert auf die Reise gegangen und schliesslich 9.501 Pilger ausschliesslich kulturell. 50.916 Pilger waren bis 35 Jahre alt, 58.667 bis 60 und 6.443 über 60 Jahre alt. Und last but not least das Geschlecht: neben 66.780 Männern waren 47.246 Frauen unterwegs.

Mehr als 2 Millionen Exemplare wurden von Kerkeling's Buch verkauft. 2 Millionen Deutsche, Österreicher und deutschsprachige Schweizer beschäftigen sich mit der Idee: "Jakobsweg". Es ist ein Phänomen unserer Zeit - lassen Sie uns dieses Phänomen ein wenig näher beleuchten.


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Mit ein paar Mythen über die Jakobswege und den Jakobskult wollen wir heute einmal aufräumen.

Zunächst einmal der Weg selbst. DEN Jakobsweg gibt es einfach nicht. Zwar wurde der Hauptweg, der sogenannte Camino Frances als Hauptverkehrsachse von den Pyrenäen bis zum Jakobusgrab, 1993 zum UNESCO-Welterbe ernannt und 1998 erhielten die vier französischen Zubringerwege auch diesen Titel, aber grundsätzlich beginnt jeder Jakobsweg vor der Haustür des Jakobspilgers. Bei dieser Vielzahl der Jakobswege nun die historisch relevanten herauszufinden - das überlassen wir lieber den Spezialisten.

Dann die Bedeutung des Weges in neuerer Zeit, sagen wir einmal ab 1989 - ab diesem Jahr liegen veröffentlichte Statistiken vor. 2 Millionen verkaufte Exemplare von Hape Kerkeling's "Ich bin dann mal weg ..." legen eine besondere Bedeutung des Weges nahe. Tatsächlich sind von 1989 bis 2007 lediglich 60.949 pilgernde Deutsche in Santiago de Compostela angekommen. Das sind bei einer Einwohnerzahl von 82.438.000 nur 0,08% der deutschen Bevölkerung. Um die Zahl noch weiter zu relativieren: Im Jahr 2004 haben 48,1 Millionen Deutsche Urlaub gemacht. Davon waren nur in diesem Jahr 13,6% in Spanien - 6.541.500 Touristen. Und davon waren 6.816 Jakobspilger. Eine verschwindend geringe Zahl, nicht wahr? (Achtung: diesen Satz nehme ich am Schluss wieder zurück!)

Und wenn wir über die grossen Pilgerziele des Mittelalters, nämlich Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela sprechen, dann müssen wir uns auch klar machen, dass es auch damals nicht unbedingt ein ständiges Kommen und Gehen gab. Im Jahre 1430 hatte die grösste Stadt des Heiligen Römischen Reiches, Köln, eine Einwohnerzahl von 40.000. Wieviele davon mögen zum Grab des Heiligen Jakobus gepilgert sein? Zum Vergleich: täglich werden am Frankfurter Flughafen mehr als 148.000 Passagiere abgefertigt.

Und einen Mythos hätten wir dann fast noch vergessen: den Mythos rund um das Grab des heiligen Jakobus d.Ä. In Jerusalem wurde der Apostel hingerichtet und gelangte dann angeblich auf wundersamen Wegen in den nordwestlichen Zipfel Spaniens, nahe Finisterre, dem Ende der damals bekannten Welt.

Und damit haben wir den Anschluss an das nächste Kapitel: Wer war denn dieser Jakobus eigentlich und wie, um Himmels willen, gelangte er in den Legende nach Spanien?


·  Einleitung

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·  St.-Jakobus d.Ä. - Apostel und Maurentöter?

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Wer ist denn eigentlich dieser Jakobus? Und warum nennt man ihn "der Ältere"? Und wieso kann ein Apostel zum Maurentöter werden? Und wer sind überhaupt die Mauren? Fragen über Fragen, denen wir jetzt mal einer nach der anderen auf den Grund gehen wollen.

Jakob war und ist ein sehr gebräuchlicher Name und geht zurück auf den Patriarchen Jakob. Der war der Sohn von Isaak und der Zwillingsbruder von Esau. Und weil er sich bei der Geburt angeblich an dessen Ferse festhielt, nannte ihn sein Vater Ja'aqob - Fersenhalter. So einfach ist das und Eltern wussten damals schon nicht, was sie ihren Kindern mit der Namensgebung so alles antun können.

Jakob heisst auf Kölsch übrigens Köbes (ja, richtig, wie der Kellner in der urigen Kölsch-Kneipe) und auf spanisch Santiago (Heiliger Jakob) - aha, daher, aber das kommt eigentlich später.

Jakobus gehört zu den ersten berufenen Jüngern, zu den 12 Aposteln. Im Neuen Testament, genau genommen im Matthäus-Evangelium heisst es dazu:

"Als Jesus einmal am Ufer des Galiläischen Meeres entlangging, sah er zwei Fischer, die eben ihre Netze auswarfen. Sie waren Brüder und hiessen Petrus und Andreas. Auf, rief er sie an, mir nach! Ihr sollt Menschen fischen! Da liessen sie ihre Netze, wo sie lagen, und gingen ihm nach. An einer anderen Stelle sah er wieder zwei Brüder, Jakobus und Johannes, die mit ihrem Vater Zebedäus im Boot sassen und ihre Netze flickten, und rief auch sie an. Da standen die beiden augenblicklich auf, liessen das Boot und ihren Vater zurück und schlossen sich Jesus an." (Mt 4,18-22)

Die erstberufenen Jünger nehmen im Neuen Testament eine besondere Rolle ein und Jesus lässt sie an bedeutenden Ereignissen in seinem Leben teilnehmen. Im Matthäus-Evangelium wird berichtet, wie Jesus Petrus, Johannes und Jakobus beseite nimmt und sie allein auf einen hohen Berg führt. Dort verklärte sich Jesus und es erschienen Mose und Elia, die mit Jesus redeten (Mt 17,1-3). Auch in den Garten Getsemani nahm Jesus wieder die drei Apostel Petrus, Johannes und Jakobus mit - die miterleben konnten, wie Jesus trauerte und sich ängstigte (Mt 26,36-38).

Also hatte dieser Jakobus schon eine ganz besondere Stellung zu Jesus. Den Zusatz "der Ältere" oder "Maior" oder "der Grosse" gaben ihm spätere Generationen, um ihn von den anderen zu unterscheiden. Im Neuen Testament werden nämlich noch mehrere Jünger und ein Apostel Jakobus genannt. Jakobus der Kleine (oder Jüngere) und Jakobus der Gerechte sind wahrscheinlich ein und dieselbe Person, wohl ein Bruder Jesus. (Mt 13,55 oder Mk 6,3). Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf -schliesslich gibt es seit 1600 Jahren das Dogma der immerwährenden Jungfräulichkeit der Mutter Gottes- handelt es sich nach Auffassung der katholischen Kirche bei dem späteren Leiter der Jerusalemer Gemeinde nicht um einen Bruder, sondern um einen Vetter oder anderen nahen Verwandten von Jesus.

Im Markus-Evangelium wird berichtet, dass Jesus seinen ausgewählten Jüngern Beinamen gab. Der bekannteste Name ist Petrus für Simon - und den beiden Brüdern Johannes und Jakobus, den Söhnen des Zebedäus, gab er den Beinamen "Donnersöhne" (aramäisch Boanerges). Dies wohl wegen ihrer ungestümen Wesensart - aber auch dazu kommen wir ein wenig später.

Den späteren gewaltsamen Tod von Jakobus (und Johannes) spricht Jesus schon früh an. Sowohl im Markus-Evangelium (Mk 10,39), als auch im Matthäus-Evangelium wird der Tod reflektiert: "Könnt ihr den Becher des Leidens und des Todes bis zur Neige trinken, den ich trinken werde? Sie antworteten: Das können wir. Darauf Jesus: Gut. Ihr werdet denselben Becher austrinken, den ich trinken werde." (Mt 20,22-23)

So gibt es also eine Fülle von Belegen für den Apostel Jakobus d.Ä. - den letzten Verweis finden wir in der Apostelgeschichte. Dort steht: "Um diese Zeit griff König Herodes zu, um an einigen aus der Gemeinde seinen Zorn auszulassen. So liess er Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert hinrichten, und als er sah, dass es den Juden gefiel, liess er auch Petrus festnehmen, und zwar gerade am Osterfest." (Apg 12,1-3)

Wie gelangt nun dieser gute Mann, nach seinem Tod, ohne Kopf, nach Spanien und entwickelt sich dort zum Maurentöter?

Die Apostelgeschichte hilft uns da nicht mehr viel weiter. Wir sind also auf Legenden angewiesen.

Zunächst einmal hat er sich noch mit Kopf, einer Legende zufolge, nach der Himmelfahrt Christi auf den Weg gemacht, um die iberische Halbinsel zu missionieren. Paulus rechts herum, Jakobus links herum. Ums Mittelmeer natürlich. Er hat Jünger rekrutiert, indem er prophezeit hat, dass er nach seinem Tod Unzählige bekehren werde. Besonders viel Erfolg hatte er auf seiner Missionsreise nicht gerade, soll er doch in Saragossa (das es damals noch nicht gab) am Ufer des Ebro gesessen haben und vor lauter Frustration bittere Tränen geweint haben. Als er dann aber abbrechen wollte, schnell wieder nach Hause zurückwollte, erschien ihm die Jungfrau Maria und hat ihm ihre Unterstützung zugesagt. Schliesslich kam er nach Jerusalem zurück und wurde um 44 nach Chr. hingerichtet.

Und jetzt kommt sie, die sogenannte Translation, die grundlegende Legende aller Jakobusanhänger: seine Jünger übergaben den Leichnam des Apostels einem Schiff ohne Kapitän und Besatzung und dieses landete in Galicien, im Nordwesten Spaniens. Dort waren auch gleich andere Jünger zur Stelle, schafften den Leichnam auf einem Ochsenkarren ins Landesinnere und begruben ihn an der Stelle, an der die Ochsen von sich aus Rast machten. Danach geriet das Grab in Vergessenheit.

Eine andere Legende erzählt jetzt die Wiederauffindung des verloren geglaubten Grabes: Der Eremit (Einsiedler) Pelayo hatte eine Lichterscheinung, irgendwann zwischen 818 und 834, gerade richtig passend zur flächendeckenden Christianisierung Galiciens. Theodemir, der zuständige Bischof, ordnete den Bau einer Kapelle an - bumms, der Wallfahrtsort ist erfunden, ab sofort ist mit starkem Pilgerverkehr quer durch Spanien zu rechnen.

Nein, ganz so schnell ging es natürlich nicht. Diese ganze Geschichte taucht in den Urkunden tatsächlich erst im 9. Jahrhundert auf. Aber schon gegen Ende des 9. Jh. wird dem Heiligen eine mehr und mehr militärische Funktion zugeschrieben. Er entwickelte sich, aus welchen Gründen auch immer, zum spanischen Nationalheiligen. Alfons III. von Asturien, auch der Große genannt, führte seine Siege gegen die Mauren, aber auch gegen feindliche Christen in zum Beispiel Portugal, auf das persönliche Eingreifen von St. Jakob zurück. Geholfen hat es ihm 910 nicht wirklich, den Aufstand seines ältesten Sohnes konnte Alfons noch niederschlagen, als dann aber die jüngeren Söhne mit der Königin rebellierten, musste er ins Exil.

Von da ab geben sich die Erscheinungen des Apostels die Klinke in die Hand. 1064 ist er bei der Eroberung der Stadt Coimbra dabei, im 12. Jh. taucht die Legende auf, er wäre schon im Jahr 844 bei der Schlacht von Clavijo als Ritter auf einem Schimmel dabeigewesen. Dass diese wohl berühmteste Schlacht der Reconquista, also der Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Moslems, gar nicht stattgefunden hat, war damals wie heute eigentlich zweitrangig.

Auch Karl der Große wollte bei soviel allerheiligster Unterstützung nicht abseits stehen. Und so liess er sich höchstpersönlich vom Heiligen Jakob beauftragen, den Weg zum Jakobsgrab von den Mauren zu befreien. Erfolg hatte er aber eher mit seinen angeblichen diplomatischen Verhandlungen und gegenseitigen Stillhalteabkommen denn mit seinen militärischen Operationen auf der iberischen Halbinsel.

Und damit sind wir bei den Jakobswegen. Nur eines noch, wo wir gerade von Karl dem Grossen sprechen. Kennen Sie Runkel an der Lahn? Der Sage nach ist ein Ritter Karls des Großen dem grossen Massaker der Schlacht von Roncesvalles (Roncevaux), bei dem auch Roland ums Leben kam, entkommen und hat eine Burg an der Lahn errichtet. So leitet sich angeblich der Name Runkel von Roncevaux ab.


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Überall können wir bei dem bisher gesagten zwischen den Zeilen die machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen lesen, die mit dem Apostelgrab gerade am Ende der damalig bekannten Welt verbunden waren (und heute noch sind). Die ersten Pilger aus Aquitanien und dem Bodenseeraum sind bereits im 10 Jh. (wohl um 930 herum) belegt. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Bei den Spaniern kann man es noch verstehen, immerhin handelt es sich um ihren Nationalheiligen. Dann aber folgten die Franzosen und die Deutschen - Pilger sind aus Osteuropa, aus Skandinavien, ja selbst aus Island belegt. Nach den Engländern wurde ein Pilgerweg, der Camino Ingles von Ferrol bzw. La Coruna, benannt.

Warum das alles? Warum entwickelt sich hier, neben Jerusalem und Rom, ein drittes Hauptpilgerziel für die Christenheit?

Zunächst einmal brauchte die Reconquista, die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Arabern, und das neue Königreich Asturien eine Identifikationsgestalt. Diese war mit dem Apostel, Märtyrer und Maurentöter Jakobus d.Ä. schnell gefunden. Jakobus legitimierte Asturien als Nachfolgereich der im Maurensturm untergegangenen Westgoten und die Königsfamilie als Nachfolger Theoderichs des Großen.

Aber erst 1075 erscheint ein erster ausführlicher Bericht über die Grabauffindung, die „Concordia de Antealtares“. Die Zusammenfassung der wichtigsten Legenden erfolgt im 12. Jh. durch den Liber Sancti Jacobi und durch die Legenda Aurea im 13. Jh. Der Liber Sancti Jacobi wird auch Codex Calixtinus genannt und enthält u.a. den ersten bekannten Pilgerwanderführer. (Nicht, dass ich mich in der Nachfolge des Papstes Calixt II. sehe, der wars auch gar nicht, der ihn geschrieben hat. Tatsächlich wird es wohl ein französischer Gelehrter, Aimeric Picaud, gewesen sein.)

Im Codex Calixtus ist auch der sogen. Pseudo-Turpin enthalten, ein Buch, in dem geschildert wird, wie Karl der Große auf Geheiß des Apostels den Weg zum Grab von den Mauren befreit.

Und schon sind wir mitten drin im schönsten Machtgerangel. Die Verbindung des in Deutschland und Frankreich verehrten Karl mit dem Nationalheiligen Spaniens weckt nicht nur das Interesse des deutschen und französischen Volkes, sie bietet auch die ideale Gelegenheit für Friedrich I. Barbarossa und Ludwig VII. von Frankreich die eigene politische Vormachtstellung in Europa zu begründen und anzumelden.

Gleichzeitig nutzen Asturien und die anderen christlichen Königreiche Spaniens die Gelegenheit, die entvölkerten Landschaften neu zu besiedeln - besonders entlang des sich langsam entwickelnden Weges vom Kloster Roncesvalles in den Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela. Besonders in Frankreich werden Bauern, Kaufleute und Handwerker mit Freiheitsrechten, Privilegien und Steuerbefreiungen angeworben und entlang des Pilgerweges angesiedelt. Noch heute heisst deshalb dieser Hauptjakobsweg "Camino Frances".

Geschickt nutzte auch die Kirche das Interesse am angeblichen Apostelgrab. Die Klosterreform von Cluny (wussten Sie eigentlich, dass Cluny uns den Allerseelentag beschert hat?), aber ganz besonders neue theologische Entwicklungen in der christlichen Heils- und Erlösungslehre wurden noch vor Rom in Santiago de Compostela aufgegriffen und verbreitet.

So wurde in einfachen, allen verständlichen Worten die Fürsprache des Apostels bei einem versöhnenden Christus vermittelt. Diese Botschaft fiel gerade bei der ärmlichen, ja wirklich im Elend lebenden Bevölkerung Europas auf fruchtbaren Boden. Viele machten sich auf, liessen den Schmutz und Unrat der mittelalterlichen Städte, den Hunger und das Elend hinter sich, um am Grab in Santiago de Compostela den heiligen Jakobus um Beistand bei Christus zu bitten.

Später integrierte das Domkapital auch ein Ablasswesen und Heilige Jahre nach dem Vorbild Roms in die Pastoral.

Bereits um 1075 wurde  mit dem Bau der romanischen Kathedrale begonnen, 1120 wurde sie zum Sitz eines Erzbischofs.

In der frühen Neuzeit verfiel der Pilgergedanke mehr und mehr, die Reformation und Luthers persönliche Einstellung zum Thema Pilgern tat ein übriges: die Zahl der Pilger nahm dramatisch ab. Einige heftige Kriege zwischen Frankreich udn Spanien haben auch eine nicht zu geringe Rolle gespielt. Aber ab Mitte des 17. Jh. geht es wieder aufwärts, ein umfangreiches Bauprogramm wird begonnen und 1769 mit der Vollendung einer neuen Nordfassade abgeschlossen.

Die Säkularisierungswelle nach den napoleonischen Kriegen zerstört nicht nur Cluny und andere kirchliche Schätze, sondern auch fast die gesamte karitative Infrastruktur des Camino Frances. Aber der Pilgerstrom wurde zwar reduziert, hört jedoch niemals ganz auf. 1879 wurden die verschollen geglaubten Gebeine des Apostels wiedergefunden, Papst Leo XIII. bestätigt 1884 die Echtheit  und löst damit eine neue Pilgerwelle aus. 1937 erklärte Franco das Fest des Heiligen Jakobus zum Nationalfeiertag. 1950 gründet sich in Paris eine wissenschaftliche Jakobusgesellschaft.

Seit 1970 gibt es einen neuen Aufschwung. In dem Jahr haben 68 Pilger die Compostela erhalten. 1980 sind es 209 PilgerInnen, 1990 4.918, im Jahr 2000 55.004 und schliesslich 2007, im Jahre 6 nach HP  (Hape Kerkeling ist 2001 den Camino Frances gegangen) immerhin 114.026 Pilger.

Auf dem Jakobsweg befinden Sie sich in berühmter und frommer Gesellschaft: Johannes Paul II., Otto von Habsburg, Cees Noteboom, Paulo Coelho, Shirley McLaine, Verona Pooth, Frank Elstner oder Jenna Bush, die amerikanische Präsidententochter.

Den eigenen Machtanspruch manifestieren, Spanien eine neue Identifikationsfigur geben, verödete Landstriche neu besiedeln, und schliesslich sogar die europäische Vormachtstellung eines Friedrich I. Barbarossa oder Ludwig VII. begründen - all das setzt Energien bei den Herrschenden des Mittelalters frei, um Santiago de Compostela zu einem der wichtigsten Orte der Christenheit zu machen.


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Was trieb nun den mittelalterlichen Pilger auf den Weg nach Santiago de Compostela?

Verabschieden Sie sich von dem Gedanken, dass die Pilger des Mittelalters immer fromme Gesellen und Gesellinnen waren, die munter ausschreitend, ein Kirchenlied auf den Lippen, die bis zu 4.000 km lange Pilgerfahrt unternahmen.

Fangen wir mal oben an, bei den Adligen. Wobei ich natürlich sagen muss, dass Ausnahmen immer die Regel bestätigen. Also bei den Adligen dominierte die Abenteuerlust. Nicht selten legte man auf dem Weg nach Santiago de Compostela einen kurzen Stopover an der Sarazenenfront ein, um sich ein wenig an der Reconquista, der Rückeroberung Spaniens zu beteiligen. Heute würde man salopp sagen: "Araber kloppen!" Das ging oft genug schief, und der Ritter von SoUndSo kam nicht wieder nach Hause. Aber dafür gab es immerhin zumindest zeitweilig einen Ablass vom Papst.

Von anderen Adeligen wissen wir Genaueres. Zum Beispiel vom böhmischen Diplomaten, Herrn Leo von Rozmital, einem Verwandten des böhmischen Königs, der sehr genau seine "Ritter-, Hof- und Pilgerreise durch das Abendland" beschrieben hat. Bei ihm und auch bei anderen Adligen seiner Zeit spielt der Bericht über den Besuch des Apostelgrabes denn auch nur eine untergeordnete Rolle. Sie waren mehr darauf bedacht, in den Orten, in denen sie verweilten, ihren Namen und/oder ihr Wappen zu hinterlassen. Zum Beispiel in Neuss, wo von Rozmital im Jahre 1465 vorbeikam.

Heute geschieht das übrigens anders herum: der neuzeitliche Pilger frönt der Stempelsammelleidenschaft. Stempel im Pilgerpass sind so etwas wie die Stocknägel der 50er und 60er Jahre. Und natürlich für die letzten 100, bzw. 200 km vor Santiago de Compostela unabdingbar. Denn nur durch zwei Stempel am Tag kann der Pilger im Pilgerbüro belegen, dass er gepilgert ist und erhält auch nur dann die begehrte Urkunde.

Zurück zu den Adligen, die sich direkt nach Santiago aufmachten, denn diese haben auch häufig den weniger beschwerlichen Seeweg gewählt. Die Schiffe landeten dann in La Rochelle, Bordeaux oder A Coruna und von dort ging es zu Fuß oder zu Pferd weiter nach Santiago de Compostela.

Ein weiterer Beweggrund war die Neugierde. Reisen war "In" und wie in der heutigen Zeit reisten alle Gesellschaftsschichten. Die grossen Reisen nach Konstantinopel, nach Rom, nach Jerusalem, nach Santiago de Compostela, in die arabische Welt liebten die Menschen des Hoch- und Spätmittelalters über alles. Das ging sogar so weit, dass sich geistliche Pilger, wie Priester, Mönche und Nonnen, in einen Interessenkonflikt zwischen spiritueller Pflicht und individueller Neigung gestürzt sahen. (Ganz-Blätter, 1991, S. 239f.)

Ab etwa 1500 kam noch ein weiterer Aspekt hinzu: da wurde die Pilgerfahrt zur Ausrede, um sich an ausländischen Höfen aufzuhalten, um fremde Sitten kennenzulernen,  um zu Handeln oder um an Ritterturnieren teilzunehmen.

Aber bei allen weltlichen Motiven, die gerade bei den Privilegierten eine Rolle gespielt haben mochten, so stand und steht auch heute noch die Buß- und Betfahrt im Vordergrund. Diejenigen, die zum Beispiel schon von einer schweren Krankheit genesen waren oder aus grosser Not errettet wurden, brachen auf, um dem Heiligen für die Heilung oder Errettung zu danken. Diese Bittfahrten wurden häufig auch auf Grund von Gelübden durchgeführt. Die Furcht vor dem Fegefeuer liess die Gläubigen nach einem immer zuverlässigeren Schutz vor der Verdammnis suchen. Die Kirche konnte auch Pilgerfahrten anordnen, zum Beispiel als Buße für eine schwere Sünde. Aber das Mittelalter wäre nicht das Mittelalter, wenn nicht gerade für diese Bußwallfahrten ein Schlupfloch existiert hätte. So konnte die Wallfahrt auch delegiert werden, d.h. ein Stellvertreter machte sich auf den Weg nach Santiago de Compostela. Und das gibt es auch heute wieder. Suchen Sie einfach einmal im Internet nach Stellvertreter-Wallfahrt. Selbst als Sühne für schwere Verbrechen konnte die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela auferlegt werden. Im Jahr 1306 gab es einen Pilger aus Gent, der sich auf den Weg machen musste. Hauptsächlich im niederländischen Raum ergriffen die Gerichte diese Maßnahmen.

Wie gesagt, die weltlichen haben die spirituellen Gründe der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela nicht ersetzt. Grundsätzlich war das Hauptmotiv für eine Reise die Erlangung des Ablasses und damit die Sündenvergebung.

Was erwartete nun den einfachen Pilger auf seinem Weg? Ach so, richtig machohaft spreche ich nur in der männlichen Form, verzeihen Sie bitte, meine Damen. Selbstverständlich waren auch Frauen unterwegs. Und Paare sowieso. Also bitte: wenn ich von DEM Pilger spreche, meine ich immer auch DIE Pilgerin.

Stellen Sie sich vor, Sie lebten als Tochter aus adligem Haus im Benediktinerinnenkloster Brunnenburg oder sind von Ihren Eltern ins Prämonstratenserkloster Arnstein gesteckt worden, um dort von den Mönchen Zucht, Ordnung und Gebet zu erlernen. Man konnte halt mit Ihnen zu Hause nicht viel anfangen - und Pflichtteile der Erbschaft kommen erst viel später ins Gesetzbuch. Immerhin noch besser im Kloster an der Lahn, als auf ewiger Wanderschaft. Stellen Sie sich weiter vor, wir schreiben so etwa das Jahr 1300. Es ist Winter - und es ist verdammt kalt in diesem Jahr.

Die Sitten werden schon streng gewesen sein, auch wenn die Sagen heute noch von Kindergebeinen im Gewölbekeller der Brunnenburg und von einem langen unterirdischen Gang zwischen der Brunnenburg und Kloster Arnstein berichten.

Und in diesem kältesten Winter seit Menschengedenken, in dem die grossen Kamine in den beiden Klöstern vergeblich versuchen, die feuchten Mauern ein wenig aufzuheizen, suchen Sie zumindest nachts ein wenig Körperwärme beim anderen Geschlecht. Aber schon im Morgengrauen, noch vor der Laudes, dem Morgengebet, rennen Sie den Weg zurück in Ihr Kloster, in Ihre kalte und klamme Zelle.

Diese Nacht blieb nicht so ganz ohne Folgen und als diese Folgen nicht mehr zu verheimlichen waren, beichten Sie Ihren Fehltritt Ihrem Beichtvater. Der erteilt Ihnen die Absolution unter der Bedingung, dass Sie am Grab des Heiligen Apostel Matthias in Trier und am Grab des Heiligen Apostel Jakobus d.Ä. Gott um Vergebung Ihrer Sünden bitten.

Im nächsten Frühjahr machen Sie sich also auf die beschwerliche Reise nach Santiago de Compostela. Bevor Sie aufbrechen, hat Ihnen die Äbtissin bzw. der Abt ein kleines, handgeschriebenes Büchlein mit auf den Weg gegeben. Dieses Büchlein wird schon seit einigen Jahrzehnten innerhalb des Ordens immer wieder abgeschrieben und den Jakobspilgern mitgegeben. Es enthält neben einer Anzahl Texte zur geistlichen Erbauung auch eine Wegbeschreibung und eine mehr oder weniger vollständige Liste der Klöster am Pilgerweg. Bestimmt ist dieses Heftchen nicht so umfangreich wie der Liber Sancti Jacobi, dafür aber immer aktuell gehalten und ein unentbehrliches Hilfsmittel.

Immer auf den Höhen, denn das Lahntal (und später Moseltal) ist sumpfig und stellenweise überhaupt nicht passierbar, legen Sie am Tag zwischen 20 und 40 km zurück. Wenn Sie keine Unterkunft in einem Kloster finden können, versuchen Sie, Obdach und eine Mahlzeit in einer der Ortschaften oder Burgen am Weg zu erhalten. Gelegentlich übernachten Sie auch unter freiem Himmel und essen das harte Brot, das Sie vom Schultheiss der letzten Ortschaft als Wegzehrung erhielten. Dies ist aber wegen der wilden Tiere in den dichten Wäldern nicht ohne Gefahren.

Ihr Pilgerbrief stellt Sie unter den besonderen Schutz des Gesetzes. Harte Strafen erwarten denjenigen, der sich an dem Hab und Gut oder an dem Pilger selbst vergreift. Klöster, Kirchen, Rittergüter, Burgen, ja, jedermann ist aufgerufen, dem Pilger Obdach und Essen zur Verfügung zu stellen. In Trier und an vielen anderen Orten haben Sie als Pilger nicht nur Pilgerherbergen zu erwarten, sondern auch Pilgerhospitäler für den Fall, dass Sie wegen Krankheit nicht weitergehen können.

Um die Mildtätigkeit gerade der armen Bevölkerung auf eine nicht allzu harte Probe zu stellen, sind Sie als Pilger gehalten, nicht mehr als 3 Nächte an einem Ort zu bleiben - es sei denn, Sie sind schwer erkrankt.

Nassau passieren Sie, die Stammburg des später weit verzweigten Hauses Nassau. Einen König hat das Haus schon hervorgebracht – leider einen relativ erfolglosen. Erst vor zwei Jahren war König Adolf von Nassau auf Lahneck zu Gast und fällt wenig später im Kampf gegen die Österreicher. Dass die Nassauer einmal europäische Geschichte schreiben werden, heute noch das niederländische und luxemburgische Herrscherhaus stellen, hätten Sie damals als Pilger kaum für möglich gehalten.

Auf der anderen Lahnseite liegt Dausenau. Eine Zeitlang verharren Sie und beobachten den Kirchenbau. Die alte Kirche war baufällig geworden, nur den Turm konnte man erhalten. Aber erst 50 Jahre später erhält der Ort die Stadtrechte und baute seine heute noch zum Grossteil erhaltene Stadtmauer.

Obwohl es eigentlich noch zu früh ist, suchen Sie sich ein Quartier in Ems. Natürlich weiss man um 1300 noch nicht, welche Bedeutung die warmen Quellen hier einmal in späterer Zeit haben werden, aber aus dem kleinen, römischen Kastell mit Truppen zur Bewachung des Limes hat sich ein kleiner, unbedeutender Ort entwickelt. Der Limes überquerte hier die Lahn. Auch Silbervorkommen wurden hier schon abgebaut. Erst rund 150 Jahre später wird durch die hessischen Landgrafen und die Grafen von Nassau ein Badehaus in Auftrag gegeben – die Mainzer und Trierer Kurfürsten erbauten ihre eigenen Häuser. Noch später, im 17. und 18. Jh., wurde Ems zu einem der berühmtesten Badeorten in Deutschland. Weltbedeutung erlangte es im 19. Jh., als es bevorzugter Kurort des preussischen Königs wurde. In dieser Zeit logierten dann auch der russische Zar Nikolaus I. und Alexander II., Dostojewski, Richard Wagner und viele andere hier. 1870 wurde hier Weltgeschichte geschrieben, die Emser Depesche löste den deutsch-fanzösischen Krieg und die spätere Kaiserkrönung Wilhelm I. in Versailles aus.

 

Am nächsten Tag gelangen Sie nach Lahnstein, zur Burg Lahneck und an den Rhein. Auch hier an der Lahnmündung hatten schon die Römer die strategische Bedeutung erkennt. Lahneck gibt es seit rund 80 Jahren, der Mainzer Fürstbischof liess die Burg als Zollburg bauen. Aber schon 1298 wird unten, direkt am Rhein, die Marksburg als neue Zollburg und Teil der Stadtbefestigung errichtet.

 

Der Lahnecker Burggraf Friedrich Schilling von Lahnstein gewährt Ihnen Unterkunft, lädt Sie zum frühen Abendmahl und gibt Ihnen reichlich Proviant mit auf die weitere Reise. Dann trägt er Ihnen auf, für ihn und seine Familie an den Apostelgräbern zu beten.

 

So sind Sie in diesen zwei Tagen nicht sonderlich weit gekommen. Jeder möchte Ihnen Gebetsaufträge mit nach Santiago de Compostela geben, besonders der niedere Adel ist etwas neidisch auf Ihre Pilgerfahrt.

Für ein "Vergelt's Gott" setzt Sie der Fährmann am nächsten Morgen über den Rhein und Sie erklimmen die Hunsrück-Höhen - vorbei an Burg Stolzenfels. Die in der Zollburg gerade Dienst tuende Mannschaft erkennt Sie zwar als Nonne/Mönch und als Pilger, macht aber dennoch derbe Späße mit Ihnen. Auch das wird für Sie Alltag in den nächsten Monaten werden. Wir können uns heute nur noch schwer vorstellen, wie die Burg in damaliger Zeit aussah. Als Zollburg von Kurtrier wird sie aber lange nicht so heimelig gewesen sein, wie sie sich nach dem Umbau zum Romantik-Juwel darstellt.

Auf den Hunsrück-Höhen treffen Sie schliesslich auf die alte Römerstraße von Koblenz nach Trier, der Sie bis zur Abtei St. Mattheis folgen könnten – entlang der Römerstraße könnten Sie Unterkunft und Verpflegung erhalten. Da Sie als Pilger jedoch immer wieder auf die Mildtätigkeit angewiesen und die spirituelle Unterstützung suchen, steigen Sie unterwegs immer wieder in die Moselortschaften hinab, um sich mit Verpflegung zu versorgen und gelegentlich ein Dach über dem Kopf zu finden.

Noch heute ist die Kelten- und Römerstrasse ein viel genutzter Weg zwischen Koblenz und Trier. Sie passieren den Merkurtempel, der schon lange nicht mehr als alte Kultstätte erkannt wird. Sie machen eine kurze Rast und es geht weiter in Richtung Asch (Waldesch). Das Gut mit den paar Häuser gehört dem Nonnenkloster in Kaufungen.

Bald erreichen Sie die Wallfahrtskirche auf dem Bleidenberg. Hier haben schon die Kelten gesiedelt. Die Wallfahrtskirche wurde aber erst vor rund 50 Jahren errichtet. Seit 1248 gehören die beiden Ortschaften, die Sie unten an der Mosel erkennen können, jeweils zur Hälfte den Kurfürsten von Trier und Köln. Auch die Burg Thurandt ist mit einer Mauer in einen Kölner und einen Trierer Bereich geteilt.

Der von den Schöneckern, die zur Zeit über die Burg gebieten, eingesetzte Burgvogt bewirtet Sie an diesem Tag besonders gut. Er gibt Ihnen einen Brief an seinen Herrn mit, der derzeit auf Burg Eltz weilt.

Deshalb lassen Sie sich am nächsten Tag auch über die Mosel setzen, ungefähr in Höhe von Moselkern, um durch der Straße nach Münstermaifeld zu folgen, an der die Burg Eltz erbaut wurde.

Aber hier können Sie sich nicht allzulange aufhalten. Sie erledigen Ihren Auftrag und ziehen gleich weiter, diesmal auf den Eifelhöhen in Richtung Karden, zum Stift.

Schon im 4. Jh. Soll der heilige Kastor an der Mosel missioniert haben, seine Gebeine wurden um 9. Jh. Nach Koblenz in die St. Kastorkirche gebracht. Dennoch haben Karden und  das Stift nichts von ihrer Bedeutung verloren, denn das Archidiakonat –eines von 5 im Bistum Trier- gab es noch bis in das 18. Jh. hinein.

Nachdem Sie im Stift ein Dach über dem Kopf gefunden hatten und auch eine warme Mahlzeit erhielten, ging es am nächsten Morgen weiter, zunächst aber noch wieder zurück auf die Hunsrückseite, zum Kloster Maria Engelport. Dort lebt seit 1265 ein Prämonstratenserinnenkonvent und Ihr Abt/Äbtissin hat Ihnen ein Schreiben an den Prior/Prorin mitgegeben.

Langsam wird die Zeit knapp mit den vielen Aufträgen, die Ihnen erteilt werden. Sie bemühen sich, die restlichen Etappen fernab der Zivilisation und schnell zurückzulegen.

In Trier halten Sie sich nicht lange auf. Zu lang ist noch der Weg, den Sie zurücklegen müssen. Im Dom beten Sie vor dem Hochaltar, in dem seit 100 Jahren der Heilige Rock, die Tunika Christi aufbewahrt wird. Dann gehen Sie weiter zur Abtei St. Matthias mit dem einzigen Apostelgrab auf deutschem Boden und nördlich der Alpen. Hier, bei den Benediktinern erhalten Sie heute Unterkunft und eine warme Mahlzeit.

Sie werden auf Ihrer Pilgerfahrt durch Frankreich viele Mitpilger treffen, werden sich zu Gruppen zusammen schliessen – diese werden wieder auseinanderbrechen und neue Pilgergruppen werden sich bilden.

Ihr Weg führt Sie durch Metz mit seiner großartigen Kathedrale, durch Toul, wo Sie wieder in der Kathedrale für Ihr und das Seelenheil Ihrer Mitbrüder und –schwestern beten. Sie kommen an  Domremy vorbei, dem Ort, in dem rund 120 Jahre später die Jungfrau von Orleans geboren wird.

Endlich gelangen Sie nach Vezelay, einem weiteren Sammelpunkt der Santiagopilger und von dort aus nach Cluny, der grossen und mächtigen Abtei, deren europaweite Ordens- und Kirchenreformen auch Ihr kleines Kloster nahe Arnstein beeinflusst hat. Die Kirchenanlage von Cluny übertraf selbst die enorme Größe des Dom zu Speyer und war bis zum Neubau des Petersdomes in Rom (um 1500) der größte Kirchenbau der Christenheit.

Immer dichter wird das karitative Netz für die Jakobspilger, immer besser die Pilgerinfrastruktur. Schon Jahrzehnte und Jahrhunderte vorher wurde begonnen, allle 15 bis 20 km eine Herberge zu schaffen. Grosse Sakralbauten entstanden und entstehen am Weg.

Schliesslich erreichen Sie Santiago de Compostela. An der Kathedrale wird immer noch ständig gebaut. Vor rund 100 Jahren hat Meister Mateo den Säulengang der Herrlichkeit fertig gestellt. Er wird mit seinen über 200 Figuren der Apokalypse als Hauptportal genutzt. Der heilige Jakobus steht über allem und stellt eine Art Türwächter dar.

Sicher könnten wir den Vortrag beliebig fortsetzen – wenn Sie Santiago de Compostela in Bildern interessiert, dann kann ich Ihnen nur einen der zahlreichen Diavorträge empfehlen, die in letzter Zeit immer wieder angeboten werden.

Nachdem Sie als Pilger In  der Kathedrale waren, den heiligen Jakobus umarmten, und sich einige Tage von den Strapazen der Pilgerfahrt erholen konnten, sind noch weiter zum Finisterre, zum Ende der damals bekannten Welt gewandert. Hier haben Sie Ihre Kleider verbrannt und sich eine Jakobsmuschel am Strand gesucht.

Die Jakobsmuschel dient Ihnen nach der Heimkehr als Beweis der wahrhaften Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Und ja, noch heute sprechen wir vom „wahren Jakob“, wenn etwas bewiesen wurde.

Ja, damit sind wir ja schon beim „wahren Jakob“, denn wenn etwas der „wahre Jakob“ ist, dann trifft es genau den Kern einer Sache. Wahrscheinlich leitet sich diese Redensart von den Streitigkeiten einiger Städte und Kirchen ab, die im Mittelalter behauptet haben, dass die Reliquien des heiligen Jakobus genau in ihrem Besitz sind.

Heute wissen wir es nicht mehr, was genau der Grund für diese Redensart ist.

Bevor wir nun zu dem zentralen Punkt des heutigen Vormittages kommen, will ich noch ganz kurz auf die Heiligen Jahre eingehen.

Nur wenigen Kathedralen wurde vom Papst das Recht eingeräumt, ein Heiliges Jahr zu feiern. Heilige Jahre oder Jubeljahre gehen zurück auf das Buch Mose: „Ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und im Land Freiheit ausrufen für all seine Bewohner ...“

Im Jahr 1300 wurde das Heilige Jahr unter Bonifatius VIII. eingeführt und sollte eigentlich nur alle 100 Jahre stattfinden. Schliesslich einigte man sich unter Papst Paul II. darauf, ein Heiliges Jahr alle 25 Jahre zu feiern – und so ist es auch heute noch. Gleichzeitg bestimmte Paul II. Kathedralen zu Stellvertreterkirchen. Darunter auch die Kathedrale von Santiago de Compostela. Durch Urkunden belegt sind die Heiligen Jahre in Santiago ab erst 15. Jh.

Und wie in Rom, so gab es auch hier im Heiligen Jahr einen vollkommenen Ablass, eine Vergebung alles Sünden unter bestimmten Voraussetzungen.

Heilige Jahre finden in Santiago de Compostela immer dann statt, wenn der Jakobustag, der 25 Juli, auf einen Sonntag fällt. Das letzte Heilige Jahr war 2004, das nächste wird 2010 sein.


Deutschland und seine Jakobswege, die es eigentlich gar nicht geben darf. So natürlich auch nicht der Lahn-Camino, der von Marburg bis nach Lahnstein führt und erst Recht nicht den Mosel-Camino –auf denen wir eben einige Kilometer und Tage weit gepilgert sind-, der hier in Stolzenfels ansetzt und dann weiter, an der Mosel entlang, bis nach Trier zum einzigen Apostelgrab nördlich der Alpen führt.

Eine Expertenkommission der EU hat sich nämlich der Sache angenommen und wie schon die Standardisierung der Bananen durch die EU –ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass Bananen seitdem nicht mehr so richtig schön krumm, sondern eigentlich ziemlich gerade gewachsen sind? – auch die Jakobswege standardisiert. Und weil wir Deutschen immer gleich perfektionistisch „Hier“ schreien, wenn die EU etwas schreibt, kommt es zu folgender Definition:

„Demgegenüber hat sich jedoch eine internationale, 1985 vom Europarat eingesetzte und heute bei der Regierung der autonomen Region Galicien angesiedelte Expertenkommission auf eine Nomenklatur verständigt, nach der lediglich die nordspanische Hauptverkehrsachse die Bezeichnung Camino de Santiago (Jakobsweg) tragen soll. Alle anderen Routen werden korrekt als Wege der Jakobspilger bezeichnet. Mit dieser Nomenklatur soll zum Ausdruck gebracht werden, dass für den Camino Francés die Benutzung durch Jakobspilger als eine tragende Hauptfunktion angenommen werden kann, während es sich bei den anderen Wegen um Altstraßen gehandelt hat, die unter anderem, aber nicht in erster Linie, dem Pilgern dienten.“

 

Und so gibt es halt in Deutschland keine Jakobswege, sondern nur Wege der Jakobspilger. Das trägt zwar der modernen Entwicklung nicht unbedingt Rechnung, ist aber politisch korrekt.

 

Beschäftigen wir uns also mit den Wegen der Jakobspilger in Deutschland.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Jakobsweg nicht mehr nur ein historisches, sondern ganz besonders auch ein aktuelles, neuzeitliches Phänomen ist. Immer mehr Pilger machen sich auf den Weg. Pilgern ist „In“.

 

„Den“ Jakobsweg, ich habe es ganz zu Beginn schon einmal erwähnt, gibt es nicht. Wenn Sie einen Spanier fragen, wo denn der Jakobsweg beginnt, dann antwortet er Ihnen: „Vor deiner Haustür.“

 

Jakobsweg = Idee

 

Unterscheidung Wallfahrt-Pilgerfahrt

 

Wallfahrt = göttliche Kraft an einem Ort besonders stark

 

 

Pilgerfahrt = Der Weg ist das Ziel

 

Jakobsweg steht für den Lebensweg des Menschen.

 

Ziel Santiago de Compostela tritt in den Hintergrund, das Pilgern wird als konsequente Nachfolge Jesu Christi gesehen. Ohne feste Bleibe, ohne Besitz, als Fremde (peregrinus) unterwegs sein.

 

Lukas 9,58 sagt: Der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

 

Jakobswege verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung, und gewinnen dafür eine Neue. Stehen für eine neue Spiritualität.

 

Jakobswege in Deutschland:

 

Altstraßen

Heerwege

Handelswege

Kelten- und Römerstraßen

 

Wandelten im Laufe der Zeit, heisst, die Pilger suchten neue Wege, wenn die alten Wege nicht mehr passierbar oder zu gefährlich wurden.

 

Hohlwegsysteme an der Lahn und der Mosel, mehrere Wege nebeneinander – genauso stellen Sie sich die Jakobswege vor.

 

Kamen aus dem Norden, benutzten einen uralten Heer- und Handelsweg, den es lange vor den ersten Missionaren gab: Ochsenweg.

 

Erst mit den Pilgern wurde er zur Via Jutlandica.

 

ViborgPadborg – Flensburg – Schleswig – Rendsburg – Itzehoe – Glückstadt/Elbe – Wischhafen – Stade – Bremen – Osnabrück – Herford? – Münster – Köln – Bonn – Eifel oder Rhein-Camino – B9 – Römerstraße

 

Jaskobsweg heute – eine Idee

 

Laufen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen

 

Laufen, um aus der Hektik des Alltags auszubrechen

 

Laufen, um zu Entschleunigen

Laufen, um Zeit zu haben

 

Laufen aber auch, um sich „einfach“ fortzubewegen

 

Geringes Budget, einfaches Leben, auskommen mit dem Nötigsten

 


…………..

 

Damit sind wir am Ende des Vortrages angekommen. Ich hoffe, ich habe Sie kurzweilig über die Jakobswege führen können.